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Erika Zacher

Erika Zacher (geb. 1938)

Die Zeit der Trennung von Deutschland in Ost und West war gerade politisch eine sehr kritische. Erika Zacher hat diese miterlebt. Als Erzieherin im Kinderheim in der Königsheide – vielen bekannt unter dem Namen „Kinderheim A. S. Makarenko“ konnte sie aus einem ganz speziellen Blickwinkel die Entwicklung innerhalb Deutschlands beobachten.

Die zum Zeitpunkt des Interviews 81-jährige machte bereits im jungen Alter von 20 Jahren ein einjähriges Praktikum an dieser Stätte – Vorzeigeeinrichtung der Jugendhilfe der DDR – und konnte so schon vor ihrer „offiziellen“ Erziehertätigkeit einschlägige Erfahrungen sammeln.

Vier Jahre später kehrte sie nach ihrem Studium der Germanistik und Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin im Alter von 25 Jahren wieder ins Kinderheim zurück, um dort ihre Arbeit als Erzieherin zu beginnen. Ihr Umfeld reagierte darauf mit Skepsis, da man sie angesichts ihres abgeschlossenen Lehramtsstudiums für deutlich überqualifiziert für diese Tätigkeit befand. Da Erika jedoch kein Mitglied der Partei war, hatte sie es schwer, nach ihrem Studium eine Stelle als Lehrerin zu finden und deshalb nur sehr eingeschränkte Auswahlmöglichkeiten. 

Berufliche Entscheidung

Sie hielt an ihrem Entschluss fest und arbeitete von 1963 bis 1965 im Kinderheim in der Königsheide. Das Kinderheim, das sich seit 1953 auf dem Gelände in Berlin-Schöneweide befand und 1968 von „Kinderheim in der Königsheide“ in „Kinderheim A. S. Makarenko“ umbenannt wurde, bot etwa 600 Kindern pro Jahr ein Zuhause und orientierte sich an sozialistischen Erziehungsmaßstäben, die die Entwicklung zu einem wertvollen Mitglied des sozialistischen Kollektivs in den Vordergrund stellten. Auch Erika Zacher versuchte dies umzusetzen, bekam aber hierbei keine spezifischen Vorgaben von ihren Vorgesetzten. Auch wenn der Sozialismus die Zeit sehr prägte, bekam man im Kinderheim eher wenig von der politischen Lage außerhalb der Königsheide mit – so rückblickend ihre Einschätzung. Erika teilte die Überzeugungen des Sozialismus weitgehend, gehörte jedoch trotzdem zu denen, die auch ab und zu einmal „heimlich“ das westliche Fernsehen oder Radio einschalteten und war auch bei den ihr anvertrauten Kindern in diesem Punkt eher tolerant. Für sie war es vor allem essenziell, ihre eigenen Prinzipien bei der Erziehung der Kinder umzusetzen. Dabei waren ihr Strenge, Sauberkeit, Ordnung, Fleiß, Pünktlichkeit, Güte und Ehrlichkeit besonders wichtig. Aus ihrem Umfeld bekam die Erzieherin oft die Rückmeldung, dass ihre Erziehung dem Prinzip „Zuckerbrot & Peitsche“ grundsätzlich nahekommen würde.

 Bild: Wandmalerei außerhalb des Gebäudes, Quelle: Boris König

Wirkungsstätte Königsheide

Auf dem sehr weitläufigen und naturbelassenen Königsheider Gelände befanden sich – neben einer Schule sowie einer Säuglings- und einer Krankenstation – die Häuser eins bis vier, in denen die Heimkinder altersgeordnet untergebracht waren. Erika Zacher arbeitete während ihrer Zeit in Haus vier und betreute Schüler ab der 9. Klasse bis zu ihrem Abschluss in der 10. Klasse. Unter diesen waren viele, unter anderem Uschi Koos und Heidemarie Schubert, die mit der Zeit mehr als nur Schüler für die damals junge Frau wurden. Für die Kinder wurde sie eine wichtige Bezugsperson, mit der sie gerne und viel Zeit verbrachten. So kam es oft vor, dass Erika Zacher auch noch nach ihrem offiziellen Feierabend im Heim blieb und oft erst nach Mitternacht zuhause war, zumal sie meistens im Spätdienst arbeitete. Auch gab es Momente, in denen die Erzieherin ihre beruflichen Vorgaben hintenanstellte und den ein oder anderen Ärger riskierte und beispielsweise mit einigen der Mädchen heimlich im Fluss baden ging. Erika berichtet, dass sie zwar auch Zugang zu den einzelnen Akten der Heimkinder hatte, jedoch nie das Bedürfnis verspürte, diese einzusehen. Viele der Jugendlichen – gerade der Mädchen – vertrauten der Erzieherin ihr Schicksal auch freiwillig an, ohne dass sie danach gefragt wurden. Die Familiengeschichten berührten zum Teil Erika sehr, sie erzählt von einigen, die von ihren Eltern oder Elternteilen einfach zurückgelassen wurden.

Zugang zu ihren Schützlingen

An Weihnachten oder anderen Tagen, an denen die Heimkinder dann in der Regel die Möglichkeit hatten, Zeit mit ihrer Familie zu verbringen, blieben diese dann freiwillig im Heim, „lieber gar keine Mutter, als so eine“ zitiert Erika ein Mädchen. Durch dieses enge Vertrauensverhältnis besteht auch heute noch Kontakt zwischen Erika Zacher und einigen der ehemaligen Heimkinder, der von diesen aktiv gesucht und besonders durch die Gründung des Vereins Königsheider Eichhörnchen e. V. zusätzlich intensiviert wurde. 

Bild: Schulgebäude des Kinderheims, Quelle: Boris König 

Wahrnehmung der deutschen Teilung

Bild: Berliner Bevölkerung während des Mauerbaus
Quelle: Bundesregierung/Wolf (https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/deutsche-einheit/ein-unmenschliches-bauwerk-363594)

Vor dem Beginn ihrer Erziehertätigkeit, im Jahr 1961, wurde die Mauer gebaut, die Deutschland in BRD und DDR teilte. Erika erzählt, dass sie es als sehr „unreal“ wahrnahm, es gar nicht glauben konnte. Nicht nur die Tatsache des Mauerbaus an sich war für die Erzieherin ein einschneidendes Erlebnis. Denn durch die Trennung in Ost und West wurde sie von ihrer Schwester getrennt, da sie sich zu dem Zeitpunkt auf der „anderen Seite“ im Westen befand. Die 81-jährige beschreibt es als sehr emotionalen Moment, in dem sich beide Schwestern weinend gegenüberstanden, jedoch durch die Mauer nicht zueinander konnten. Selbst als Reisen zwischen Ost und West möglich waren, konnte Erika von ihrer 12 Jahre älteren Schwester nicht besucht werden, da dessen Ehemann schwerkrank war. Erst nach 15 Jahren sahen sich die beiden wieder. Schon ca. einen Monat vor dem offiziellen Mauerfall beschreibt Erika, wie sie – vor allem durch die herrschende Polizeigewalt – eine gewisse „Aufbruchstimmung“ wahrnehmen konnte. Der 9. November 1989 selbst war für sie zunächst ein ganz normaler Tag. Als sie die Neuigkeit der Grenzöffnung durch die Medien erfuhr, konnte sie das Unglaubliche zunächst gar nicht realisieren. Ihr Ehemann blieb sogar zuhause, während sie mit ihrem Sohn zur Grenze fuhr, und alle rechneten damit, dass die Grenze spätestens am nächsten Tag wieder geschlossen würde.

Bild: Mauerfall in Berlin
Quelle: imago images (https://taz.de/Platzeck-ueber-die-Wiedervereinigung/!5600448/)

Das Leben nach dem Kinderheim

Im Jahr 1965, dem letzten ihrer Arbeit im Kinderheim, heiratete sie ihren langjährigen Freund, der auch der Vater ihres Sohnes wurde. Ihre Schwangerschaft war für sie dann auch der ausschlaggebende Grund ihre Tätigkeit im Kinderheim Makarenko zu beenden, da sie die intensive Betreuung der Kinder im Heim und die gleichzeitige Fürsorge für ihre eigene Familie für nicht miteinander vereinbar hielt. Zwei Jahre später begann sie, in der „Kino International Schule“ als Lehrerin zu arbeiten. Dort blieb sie mehrere weitere Jahre, bis sie 1979 in einer Ballettschule anfing und die Schüler dort in den grundlegenden Schulfächern unterrichtete. Hier stand bei der Personaleinstellung nicht – wie bei den meisten anderen Schulen – im Fokus, ob man Mitglied der Partei war, so dass Erika keine Probleme hatte, eingestellt zu werden. Im Jahr 1998 wurde sie sogar zur stellvertretenden Schulleiterin befördert.

Resümee Ihrer Zeit in der Königsheide

Rückblickend kann Erika Zacher sagen, dass sie ihre Zeit als Erzieherin im Kinderheim Makarenko durchweg positiv bewertet, auch wenn die Umstände zur Zeit der innerdeutschen Teilung nicht optimal waren. Die Jahre, die sie im Heim verbrachte, verband sie mit mehr als nur der Arbeit als Erzieherin, da die Bindung zu den Kindern und deren Schicksale ihr Leben bis heute geprägt haben. Gerade der stetige Kontakt zu den ehemals von ihr betreuten „Mädchen“ bereichert ihr Leben bis heute.

Das Interview mit Erika Zacher

Projektteam

Ann-Sophie | Lisanna | Boris